3. Platz
Jonas Fast, Konrad-Adenauer-Realschule plus mit Fachoberschule Umwelt und Technik, Kl. 10f
Der perfekte Moment
Nach einem anstrengenden Tag in der Schule wollte ich nur noch nach Hause. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken wartete ich wie immer an der Bushaltestelle. Obwohl ich pünktlich ankam, war von dem Bus auch nach einigen Minuten nichts zu sehen. Genervt kramte ich mein Handy aus der Hosentasche, um die Buszeit zu checken. Meine Finger huschten wie automatisch über den Bildschirm, bis ich Gewissheit hatte. Na klar, mal wieder Verspätung. Wie kann es anders sein? 10 Minuten meiner Lebenszeit verloren. Ich will doch einfach nur nach Hause.
Mein Arm mit dem Handy in der Hand sank frustriert nach unten. Als ich wieder hochblickte, traf es mich wie ein Blitz. Keine zwei Meter neben mir stand plötzlich ein Mädchen an der Bushaltestelle. Wie hatte sie sich denn hier herangeschlichen? Auch sie schien zu warten. Eigentlich war es ein schöner und warmer Tag heute. Ihre langen blonden Haare leuchteten im Sonnenlicht und flatterten im Wind leicht hin und her. Das Mädchen in ihrer einfachen Jeans und ihrem weißen T-Shirt war atemberaubend schön. Nicht so wie die Mädchen auf Instagram oder TikTok, aber irgendwie besonders.
Ich musste mich ermahnen, sie nicht weiter anzustarren. Ich hatte sie hier an der Bushaltestelle noch nie gesehen, aber ich hatte direkt das Gefühl, ich muss sie unbedingt kennen lernen und dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht tue. Aber wie sollte ich sie ansprechen? Was sollte ich am besten sagen, damit es nicht schräg rüberkommt? Ich blickte an mir herunter und betrachtete meine Jogginghose und meinen Kapuzenpulli. Klar, wir hatten heute Sport in der Schule, aber warum hatte ich nicht etwas anderes angezogen? Meine Haare sehen sicher auch katastrophal aus. Was ist, wenn sie jetzt ein schlechtes Bild von mir hat und mich direkt abblitzen lässt? Ich fuhr mir mit den Fingern durch meine Haare, um irgendwas zu retten, was es nicht zu retten gab und blickte wieder zu ihr rüber. Oh, Mist, sie hat gemerkt, dass ich sie anstarre. Ich schaute verlegen auf die Seite. Schlagartig wurde meine Kehle so trocken und mein Herz begann zu rasen. Tief durchatmen. Als ich erneut einen Blick wagte, schaute ich direkt in ihre strahlend blauen Augen.
Komm schon, Mann, was kann denn schon passieren? Ich schluckte, nahm meinen ganzen Mut zusammen und stammelte: „Ähm, … der Bus hat Verspätung“ und hielt ihr meinen Handybildschirm mit meiner leicht schwitzigen Hand entgegen. Alter, wie cringe war das denn? Ich bin so blöd. Im ersten Moment wirkte sie sprachlos und überfordert. Ihre blauen Augen schienen noch größer zu werden. Sie sah mich mit einem fragenden Blick an und suchte wohl nach einer Antwort. Mist, das habe ich total verbockt. Eine peinliche Stille breitete sich aus und ich überlegte panisch, ob ich noch irgendwas sagen kann, um die Situation irgendwie zu retten, als sie zögerlich antwortete: „Ich habe es sowieso nicht eilig nach Hause zu kommen. Aber danke.“
Ich hätte es nach der peinlichen Aktion jetzt gut sein lassen können, aber irgendwie wollte ich das Gespräch unbedingt am Laufen halten. Deshalb versuchte ich ein kleines Lächeln und meinte, dass ich nach dem Tag heute gerne endlich im Bus sitzen würde. Eine Haarsträhne, die der Wind vor ihre Augen wehte, strich sie hinter ihr Ohr, blickte mich neugierig an und zu meiner Überraschung fingen wir zu plaudern an. Merkwürdigerweise legte sich all meine Nervosität und es sprudelte ein Wort nach dem nächsten heraus. Ich erzählte von der Englischarbeit, die nicht gut gelaufen war und sie erzählte, dass ihre neue Schule ganz okay sei: Lehrer sind halt Lehrer, Englisch möge sie ganz gerne, nur in Physik kam ihr heute vor wie eine Fremdsprache. Dabei lachte sie verlegen und strich sich wieder die widerspenstige Haarsträhne weg, die einfach nicht hinter ihrem Ohr bleiben wollte. Die Mitschüler wissen halt noch nicht, was sie sagen sollen, seien aber wohl nett, erzählte sie weiter und dass sie jetzt seit ein paar Tagen bei ihrem Vater wohne. Einen Ort weiter als ich, stellte ich dann erfreut fest. Ich fragte sie nach dem Grund ihres Umzuges und ich merkte schlagartig, dass ich sie jetzt verloren hatte. Ich Depp, das war natürlich total unsensibel von mir. Ihr Kiefer spannte sich an und sie senkte ihren Blick zu Boden. Dabei murmelte sie eher zu sich als zu mir: „Keiner wollte sie so, wie sie war.“
Ich war total baff. Wie kann jemand so etwas über dieses nette Mädchen sagen. Gleichzeitig war ich aber auch überfordert. Was sagt man denn auf so etwas? Schließlich kennen wir uns gerade mal ein paar Minuten. Verzweifelt suchte ich in meinem Hirn nach einer Antwort, die nicht dumm rüberkommt. Ich atmete tief durch und sagte mit fester Stimme: „Also, für mich scheinst du ziemlich perfekt zu sein.“ Das sah mir wirklich gar nicht ähnlich und fast schon entschuldigend lächelte ich. Meine Mutter hatte mir mal verraten, dass ich bereits als kleines Kind immer auf eine verlegene Art gelächelt habe, wenn ich was angestellt hatte und sie mir dann nie lange hat böse sein können.
Ihr blonder Kopf hob sich nun wie in Zeitlupe. Lange schaute sie mich an, als suche sie dort etwas. Endlich bogen sich auch ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln. Bevor ich noch etwas sagen konnte, zuckten wir beide wegen des lauten Zischens der Druckluftbremse des Buses, der mit einem Mal neben uns die Türen öffnete, zusammen. Wir konnten nicht anders und lachten laut los. Der Busfahrer zog nur die Augenbrauen hoch und wirkte ungeduldig. Gemeinsam stiegen wir eilig in den Bus und ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, saßen wir nebeneinander in einem Zweiersitz, als der Bus losfuhr.