Landau liest ein Buch
ein Buch wird zum Stadtgespräch

PLATZ 1:
Robin Eret, Eduard-Spranger-Gymnasium, MSS 12

zu: „Ich wehre mich einfach dagegen, zu werden, was man einen richtigen Erwachsenen nennt. Eines jener entzauberten, banalen, aufgeklärten Krüppelwesen, das in der entzauberten, banalen, aufgeklärten Welt sogenannter Tatsachen existiert.“ (Thomas Hettche: „Herzfaden“, S. 272)


Traumwelt


Ich befinde mich im Matheunterricht. Es ist so langweilig wie immer und aufgrund meines oft vorkommenden Abschweifens in meine eigene Gedankenwelt, welche dem totalen Gegenteil des öden Schulaufenthalts entspricht, verstehe ich nur wenig. Aber das ist nicht schlimm, denn dafür kann ich in Welten eintauchen, die kein Vergleich zur Realität sind.
Die anderen Schüler um mich herum sehen zum Teil ebenfalls gelangweilt aus, zum Teil sind sie aber auch fleißig und wiederum andere müssen ihr Lachen unterdrücken, da sie sich sonst was erzählen. Das übliche Bild einer Klasse, nichts ist besonders. Durch den Lehrer jedoch entsteht eine Art melancholische Atmosphäre, da dieser nie lächelt oder sonstige positive Gefühle ausstrahlt. Der Stoff des Faches trägt dabei nicht zur Verbesserung bei. Wenn es vorkommt, dass ich drangenommen werde, um eine Frage zu beantworten, dann kann ich diese logischerweise keineswegs richtig beantworten. Wenn ich dann eine Antwort darauf gebe, weshalb ich denn nun so desinteressiert und abwesend wirke, während er sich die ganze Mühe macht, uns dieses langweilige Zeug beizubringen, bekomme ich stets die Antwort, dass ich diesen kindlichen Unsinn doch unterlassen und mich auf die Realität fokussieren solle. Aber warum?
Später, bereits auf dem Nachhauseweg, schaue ich mich währenddessen um. Ein erdrückendes und hässliches Großstadtleben umschlingt mich. Die Menschen gehen starr und scheinbar emotionslos ihrer Routine nach. Es scheint mir, als wären sie in einer trostlosen Welt gefangen, überhaupt nicht in der Lage, in eine so großartige und faszinierende Welt einzutauchen, wie ich es mehrfach täglich tue.
Erschöpft komme ich zu Hause an und begebe mich, nachdem ich ein paar Dinge, wie zum Beispiel das Waschen meiner Hände, ausgeführt habe, zu meinem Schreibtisch, um meine Hausaufgaben zu erledigen. Da ich im Matheunterricht so gut wie nichts getan habe, muss ich nun besonders viel erledigen. Ich beginne mit dem Aufschreiben der ersten Rechnung. Die Rechnung geht am Ende schließlich nicht auf, weshalb ich einen blitzförmigen Pfeil daneben notiere, einer von vielen, die mit einem lauten Donnergrollen und von heftigen Lichtexplosionen begleitet sind. Man könnte denken, dass eine Art laute, weiß-blaue Wand vom Himmel fällt. Doch natürlich schüchtert mich dieses Geschehen keineswegs ein. Mutig und ehrenhaft, wie es mir beigebracht wurde, stelle ich mich meinem Gegner. Es ist der Drache der blauen Himmelsglut. Seine Schuppen sind am Kopf lila und gehen in Richtung Schwanz in einen hellblauen Farbton über. Dieser lilafarbene Kopf ist die einzige Schwachstelle der Bestie, die so unerschütterlich und mächtig ist, dass ein Stich an einer anderen Stellen diese unbeeindruckt lassen würde. Diese riesige Bestie fliegt direkt auf mich zu! Nur knapp weiche ich ihren messerscharfen Krallen aus. Kaum komme ich wieder auf die Beine, kommt mir ein dunkelblauer Strahl aus heißem Feuer entgegen. Entschlossen halte ich mit aller Kraft meinen Schild dagegen, was bewirkt, dass alles um mich herum lodert und langsam zu Asche zerfällt. Nun kommt mir der Kopf mit offenem Maul blitzschnell entgegen. Schnell werfe ich meinen glühenden Schild hinein, bestehend aus unzerstörbarem, magischem Dunkelkristall. Der Drache brüllt vor Schmerz auf. Ohne zu zögern, klettere ich auf seinen, sich noch am Boden befindenden Flügel und anschließend auf seinen Rücken. Er bemerkt dies und beginnt zu fliegen. Mit aller Kraft halte ich mich fest, während ich unter mir nur noch aufleuchtende, lila Wolken erblicke. Der Drache setzt zum Sturzflug ein, da reißt es mich weg und ich falle in eine scheinbar unendliche Tiefe. Konzentriert analysiere ich währenddessen meine Umgebung. Plötzlich fliegt der Drache von unten kommend direkt auf mich zu! Ich zücke mein Schwert, auf den Kopf der majestätischen Bestie gerichtet und -
Es klopft. Ich schaue in Richtung Tür, als diese sich öffnet. Meine Mutter kommt leicht erzürnt in mein Zimmer. „Warum kommst du nicht runter zum Essen? Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“, fragt sie mich direkt hintereinander. Ich antworte, verärgert darüber, auf diese Weise gestört zu werden, schlicht mit einem „Nein“.
Ich esse, vollende meine Hausaufgaben, mehr oder weniger, versteht sich, spiele ein Videospiel und anschließend gehe ich zu Bett. Der Tag ist vorüber, und bevor ich einschlafe, denke ich mir: Ich wehre mich einfach dagegen, zu werden, was man einen richtigen Erwachsenen nennt. Eines jener entzauberten, banalen, aufgeklärten Krüppelwesen, das in der entzauberten, banalen, aufgeklärten Welt sogenannter Tatsachen existiert.